Wir haben die Lebenssituation älterer Menschen in Schwalbach verbessert.

Henry Kreikenbom hat in den letzten Jahren unseren "Bericht zur Situation älterer Menschen" für die Stadt Schwalbach am Taunus erstellt. Was er dabei erlebt hat, erzählt er hier:

"Menschen ab 60 zählen zu den Senior*innen. Das war das Erste, das ich lernte, als ich im Alter von 61 Jahren den Auftrag der Stadt Schwalbach annahm. Ich fühlte mich natürlich überhaupt nicht wie ein „Senior“. Als ich darüber nachdachte, merkte ich, wie viele technische und soziale Veränderung selbst ich schon in den ca. 50 Jahren, in denen ich die Welt bewusst wahrnahm, erlebt hatte. Wie viele haben dann 90-Jährige erlebt und wie hat sie das verändert?

Ich hatte das Glück, dass in diesem Projekt neben einer repräsentativen Befragung auch eine Reihe offener Interviews geplant waren, zu denen ich kreuz und quer durch Schwalbach lief und die Menschen in ihren Wohnungen besuchte. Ich traf sie also ganz privat und konnte ihren Geschichten aufmerksam zuhören.

Da war der lebenslustige alte Herr (93 Jahre, alleinstehend), der immer noch gern in seine Lieblingskneipe in seiner Straße zum Mittagessen geht. Zum Einkaufen oder zum Arzt fährt er schnell mal mit dem Taxi (zum Glück mangelt es ihm nicht an Geld). Denn in die kleinen Straßen an den Hängen der Stadt können keine großen Stadtbusse fahren. Die gibt es nur unten auf den Hauptmagistralen. Ich kann bestätigen, was mir oft in den Interviews gesagt wurde: Runter ist man noch relativ leichtfüßig gelaufen, aber dann zurück wieder bergauf… Früher, in seiner Jugendzeit sind sie viel gelaufen und längere Strecken wurden mit dem Fahrrad zurückgelegt. Die Zeit ist aber schon lange vorbei, zumindest für seine Generation. Die Jungen haben auch in Schwalbach das Fahrrad wieder neu für sich entdeckt. Das macht manchen Alten jedoch Angst, wenn junge Leute rücksichtslos auf den Fußwegen herumkurven ...

Oder die ältere Witwe, die in ihrem Siedlungshäuschen lebt. Mit ihren Kindern und Enkeln skypt sie regelmäßig und ist ihnen so ganz nahe. Die Enkel haben ihr das beigebracht. Wenn mal eine Glühlampe kaputt ist, schreibt sie eine WhatsApp an ihren Sohn. Der kommt dann irgendwann vorbei und erledigt die Reparatur. Sie hat es schon manchmal bereut, ihr Auto abgegeben zu haben, weil sie niemanden im Straßenverkehr gefährden will. Zum Beispiel, wenn sie unten am Marktplatz eine Kulturveranstaltung besuchen will. Früher hat sie noch die älteren Nachbarn mitgenommen. Heute fühlt sie sich immobil, steht aber zu ihrer Entscheidung. Wenn es einmal gar nicht mehr geht, überlegt sie, alles zu verkaufen, ihr kleines Vermögen zu nehmen und in eine Seniorenresidenz im Nachbarort umzuziehen. Ist zwar teuer, aber das kann sie sich dann leisten. Die Kinder, auf die sie stolz ist, sind zu weit weg und Platz für sie ist da auch nicht. Ich wünsche ihr (ohne es laut auszusprechen), dass sie noch lange glücklich lebt. Aber dann wird wohl ihr Vermögen aufgebraucht sein und nicht mehr viel vererbt werden können. Auch so verarmt der Mittelstand tendenziell.

Eine andere Interviewpartnerin erzählt mir von ihrer Flucht aus Schlesien und ihrer Ankunft in Schwalbach. Damals haben sie die Einheimischen lange Zeit argwöhnisch beäugt und sie hatte Mühe, sich ihr Leben mit ihrem Mann einzurichten. Heute ist das längst vergessen. Ich sehe Parallelen zur heutigen Fluchtbewegung aus den Kriegsgebieten im Nahen und Mittleren Osten. Sie hat nur eine schmale Rente und lebt in einer Mietswohnung im Erdgeschoss eines vierstöckigen Wohnblocks. Das ist gut so, sagt sie, denn es gibt nur wenige Stufen bis zu ihrer Wohnung. Die sind zwar eine unbequeme Barriere, aber sie hat in ihrem Leben schon so viel improvisiert, um Hürden zu überwinden. Da machen ihr die paar Stufen auch nicht viel aus. Andere sind viel schlimmer dran, meint sie.

Schließlich treffe ich noch ein älteres Ehepaar. Sie wohnen im Erdgeschoss eines zum Zweifamilienhaus ausgebauten Wohnhauses. Die handwerklich begabte Tochter wohnt obendrüber. Sie hält das Haus in Schuss. Der Vater hilft mit, wo er kann und wenn er Lust dazu hat. Aber viel reinreden will er ihr nicht. Eine Mehrgenerationenfamilie unter einem Dach, wie vor 100 Jahren. Auch so etwas gibt es noch.

Die meisten altern Menschen wohnen allein. Um lange selbstbestimmt und sicher in den eigenen vier Wänden leben zu können, bedarf es eines stabilen sozialen Dienstleistungsnetzes. Hier ist die Politik gefragt. Erwartungen haben vor allem die "jungen Alten" unter 70 genug. Über klassische und die neuen sozialen Medien können ältere Menschen jedoch auch fit gemacht werden, selber soziale Kontakte zu halten und Hilfe zur Selbsthilfe zu organisieren. Und bald gibt es ja auch autonom fahrende Kleinbusse, die die Alten wieder mobil machen könnten. Die Welt verändert sich und die alten Menschen mit ihr. Gut so!"